1897 | Großer Salonflügel Rudolf Ibach (Schwelm) # 30872
Kurzcharakteristik: Die Besonderheit dieses 218 cm langen und mit 480 kg recht schweren Instrumentes ist die sog. Strahlenklaviatur: Die Strahlenklaviatur gehört in die Reihe der Versuche, die Ergonomie des Klavierspiels zu verbessern. Während die Tastenfront eine Gerade bildet, ist jede Taste in sich auf einen zentralen Punkt vor dem Instrument hin strahlenförmig ausgerichtet; das Spiel auf der Strahlenklaviatur erweist sich als sehr gewöhnungsbedürftig. Da das Baujahr und sein Erstverkauf des Flügels eindeutig belegt ist, zu diesem Zeitpunkt allerdings die Strahlenklaviatur wohl noch nicht erfunden worden war, wird diese evtl. nachträglich eingebaut worden sein. Flügel mit Strahlenklaviatur sind extrem selten. Ibach gründete zur Vermarktung dieser Erfindung eigens eine "Strahlenklaviatur G.m.b.H. in Barmen", wie u.a. aus dem Memorial des Großherzogtums Luxemburg Nr. 32 vom 12. Juni 1909 hervorgeht (dort als Patent N° 7933 vom 18. Mai 1909 angezeigt).
"Nach den Verkaufsbüchern handelt es sich bei dem Ibach-Flügel mit der Fabrikations-Nr. 30 872 um einen Flügel Modell 35 (Konstruktions-Nr.) in schwarz poliert. Der Flügel wurde am 24.12.1897 an Herrn Ernst Metzkes in Barmen verkauft. Weil ab den [18]90er Jahren die Konstruktions-Nr. nicht mehr mit der Verkaufsbezeichnung in den Katalogen übereinstimmt, kann ich leider nicht rekonstruieren, um was für ein Instrument es sich handelt. Jedenfalls ist diese Konstruktions-Nr. 35 ganz selten und das beruht sicherlich darauf, daß es sich um einen Flügel mit der Strahlenklaviatur handelt." (Schreiben von [Johann] Adolf Ibach [1911-1999] vom 22. Februar 1991 an Rolf Wasser)
Diese Aussagen werden von Ibach-Forscher Dr. Florian Speer relativiert: "[...] Die Modellnummer Fl 35 wurde für den 'großen Salonflügel' [...] benutzt, aber nur in den Jahren 1892 bis 1901. [...] Die Aussage von Adolf Ibach, es sei ein 'seltenes' Instrument, ist eindeutig falsch; selten bezieht sich nur auf die Zeit bzw. Anzahl der Instrumente, für die intern die Bezeichnung Fl 35 genutzt wurde. Das Instrument selbst als 'großer Salonflügel' ist nicht selten! [...] Die Sache mit der Strahlenklaviatur / ggf. Bogenklaviatur läßt sich archivalisch nicht klären. Ich denke aber, gerade weil das Instrument wieder ins Barmer Werk zurückgegeben wurde, daß man die neue Klaviatur - ggf. auf Wunsch der neuen Kundin, ggf. auch aus eigenem Interesse, um Erfahrungen damit zu sammeln - nachträglich eingebaut hat. Die Verbindung von Typenbezeichnung zur verwendeten Klaviatur, die Adolf Ibach damals für möglich hielt, ist eindeutig ein Irrtum. Diese Sonderklaviatur setzte sich seinerzeit nicht durch, war relativ selten. Für Instrumente, die mit dieser Klaviatur ausgerüstet waren, wurden keine besonderen Modellnummern benutzt!" (E-Mail vom 03.12.2008)
Das Instrument befand sich nur kurz im Besitz von Ernst Metzkes, wurde von diesem an Ibach zurückgegeben und am 9. Dezember 1905 von der Vohwinkler Pianistin Mathilde Dreissen (verheiratete Heinemann), der Mutter von Dr. Hilde Wasser, gebraucht bei Ibach erworben (Originalrechnung erhalten; vgl. Akte des Voreigentümers). Das Instrument wurde jedoch eher selten und wohl nie konzertant gespielt. Mathilde Dreissen hatte bei Prof. Dr. Otto Neitzel in Köln studiert und war in den 1910er Jahren als Klavierlehrerin am Krefelder Konservatorium, später in Düsseldorf beschäftigt. Zu ihrem Repertoire gehörten u.a. die Klavierkonzerte von Saint-Saëns und Liszt, die großen Variationszyklen von Beethoven und Tschaikowsky u.a.m.
Restauration 1999 (kpl. Neuaufbau u.a. nach Kriegsschaden, u. a. neuer Bezug, neue Hammerköpfe, neue Wirbel, neue Oberfläche, Rahmen geschweißt) und 2009 (Neuaufbau wg. erneuten Rahmenbruchs) durch Pianohaus Faust, Wuppertal.
Voreigentümer: Eheleute Rolf und Dr. Hilde Wasser (Spende an das Pianomuseum/Sammlung Dohr im Dezember 2008)
Literatur:
- Curt Sachs: Real-Lexikon der Musikinstrumente, 1881-1959, Nachdruck Hildesheim 1962, S. 359 (benennt Albert Schulz als Erfinder und 1908 als Jahr)
- Hubert Henkel: Art. "Klavier", in: MGG Sachteil Bd. 5 (1996), Sp. 283-313, hier Sp. 309f. (mit Abbildung; "Auch manchen Erneuerungen der Klaviatur war der Erfolg auf Dauer versagt. Hervorzuheben ist vor allem die Jankó-Klaviatur mit ihren terrassenförmig übereinanderliegenden Tasten, die um 1900 und nochmals in der [sic!] 1920er Jahren für einiges Aufsehen sorgte; die Bogenklaviatur von Fred Clutsam (nachgewiesen 1907-1911) aus dem Jahr 1907 und die Strahlenklaviatur von Albert Schulz (nachgewiesen 1895-1908) aus dem Jahr 1908 sind dagegen nicht in größeren Stückzahlen gebaut worden.")
- Robert Palmieri, Margaret W. Palmieri: Piano: An Encyclopedia. Taylor & Francis, 2003, hier S. 207 (Abschnitt "Concave Keyboards"; gibt "about 1908" für die Erfindung an)
- Florian Speer, Ibach und die anderen, Wuppertal 2002, S. 147 (gibt das Jahr 1908 für die Ibachsche Erfindung der Strahlenklaviatur an)
- Gerhard Menzel: Artikel "Ibach" in: Lexikon des Klaviers, Laaber 2006, S. 353f.
- Akte des Voreigentümers
- Wikipedia-Artikel "Ibach"