1925 (ca.) | Clavichord nach historischen Vorbildern. Anonyme Kopie o. Nr. (wohl Markneukirchen/Thüringen)
Beschreibung: Die Maße des Instruments betragen Breite 133 cm, Tiefe 48,5 cm, Höhe 18 cm. Das Instrument ruht in einem Untergestell (vier verzierte Beine mit quadratischem Grundriss). Die Gesamthöhe Untergestell plus Instrument beträgt 84 cm.
Ambitus G1-f3 = 4 7/8 Oktaven = 59 Tasten, zweichörig bundfrei. Stichmaß 480 mm. Kein Klaviaturrahmen, keine Ausbleiung der Tasten, 14 mm Tangentenlänge.
Keine Signatur. Keine Seriennummer. Keine Kennzeichnungen auf den Tastenhebeln.
Klappbares, einfaches Notenpult, an der Innenseite des Vorsatzbrettes montiert. Vorsatzbrett von hinten an die Seiten der Klaviaturraumwände geschraubt; Gehäuse Nussbaum furniert; Deckel aus einem Stück mit angehängter Tastenschließleiste; dekorative Intarsien im Außendeckel (beschädigt) und am Korpus; bildliche Intarsie (leicht beschädigt; zum Motiv siehe unten; inkl. Rahmung 416 mm breit, 244 mm hoch) im Innendeckel; zwei gesägte Deckelscharniere; einfaches Schloss (Dreikant-Schlüssel, fehlt); eine Deckelstütze rechts.
Auf dem Klangsteg befinden sich keine Stifte zur Führung der Saiten, sondern eine gesägte Metallleiste, durch deren Kerben die Saiten geführt sind. Geschlossener Unterboden. Wirbel in Vierrerreihen, rechtsstimmig; zwischen den paarigen Wirbeln pro Chor sind die Wirbelpaare von 1 bis 59 durchnummeriert (Tusche auf Papierstreifen)
zum Erbauer: Zum Erbauer dieser Kopie nach historischen Vorbildern ist bisher wenig bekannt. Jan Großbach zählt in seinem Restaurierungsbericht mehrere Indizien auf, die eine Herstellung als Unikat in Markneukirchen/Thüringen vermuten lassen.
Die Nicht-Nennung des Erbauers könnte auch andere Gründe haben, und zwar (1) in der Person des Erbauers. So ist Otto Marx (1871–1964) bekannt für "anonym" hergestellte Instrumente, da er nie selbstständig arbeitete, sondern stets angestellt war. Ferner (2) in der Geschichte des Instrumentes. Gebaut in der Weimarer Republik für einen noch nicht bekannten Erstbesitzer, gelangte es (wohl) in den 1930er-Jahren in das Eigentum von Herbert Collum. Es durchlebte den Nationalsozialismus, den Sozialismus der DDR und wurde schließlich nach dem Tode von Herbert Collum als Erbe von seinem Sohn Christian Collum, der 1980 aus der DDR emigriert war, aus der DDR in den Westen transloziert.
zur Datierung: Die Datierung auf ca. 1925 beruht auf der Schätzung von Gottfried Gäbler (02.02.1928-19.12.1999; Pianohaus Gäbler Dresden) in seinem Wertgutachten für den Export der Instrumente nach dem Tode von Herbert Collum von Dresden in den Westen; Gäbler hatte das Instrument einige Male gestimmt; Herbert Collum hatte weitere Tasteninstrumente in Besitz, bei denen er nicht der Erstbesitzer bzw. Auftraggeber gewesen war (tel. Information von Christian Collum, 27.05.2021); auch das Phänomen der gesägten Metallleiste auf dem Klangsteg spricht für diese Entstehungszeit.
zur Intarsie im Innendeckel: Die Intarsie im Innendeckel des Instruments zeigt den von einem Engel geleiteten alttestamentarischen Propheten Habakuk in dem Augenblick, wo er Daniel in der Löwengrube ein Behältnis mit Essen überreicht; ferner sind vier Löwen und einige Skelettteile und Knochen abgebildet.
Beseitigung von Patina und einem Zuviel an Firnis auf der getuschten Intarsienarbeit auf der Innenseite des Deckels dieses Clavichords aus dem Nachlass des Dresdner Kreuzorganisten Herbert Collum. Die beiden Fotos dokumentieren die Gegenüberstellung von "vorher" und "nachher". Diese Intarsie ist das mit Abstand Älteste am Instrument - wahrscheinlich erste Hälfte 17. Jahrhundert. Ähnlich alt sind vielleicht noch die beiden großen Deckelscharniere, die an die Stelle der ursprünglich montierten funktional schlichten Scharniere traten.
Bildliche Darstellungen insbesondere von "Daniel in der Löwengrube", seltener von "Habakuk nährt Daniel in der Löwengrube", sind seit der Antike sehr beliebt. Darstellungen der Szene "Daniel in der Löwengrube" bzw. hier: "Habakuk nährt Daniel in der Löwengrube" in historischen Tasteninstrumenten waren/sind bisher hingegen unbekannt (Auskunft Dr. Heidelinde Pollerus, Ende Mai 2021). Es könnte sich um eine "portierte Intarsie" von einem Möbel des 17. Jahrhunderts (Wrangelschrank/Kabinettschrank) handeln (Auskunft Christian Kuhlmann, Ende Mai 2021).
Die Vermutung einer "Portierung" der Innendeckel-Intarsie verweist ein weiteres Mal auf Otto Marx (s.o.) als möglichen Erbauer, ist doch Marx dafür bekannt, dass er im Rahmen von Neuschöpfungen von historischen Tasteninstrumenten häufig originale Altsubstanzen einbezog.
[A] "Daniel in der Löwengrube". In Kapitel 6 des Buches Daniel befindet sich Daniel lediglich eine Nacht in der Löwengrube. Die ergänzende Episode "Habakuk nährt Daniel in der Löwengrube" wird nicht nur nicht erwähnt, sondern findet aufgrund der zeitlichen Abläufe auch keinen Platz. Der Text lautet (in der kath. Einheitsübersetzung):
Dan 6,17 Darauf befahl der König, Daniel herzubringen, und man warf ihn zu den Löwen in die Grube. Der König sagte noch zu Daniel: Möge dein Gott, dem du so unablässig dienst, dich erretten. Dan 6,18 Und man nahm einen großen Stein und wälzte ihn auf die Öffnung der Grube. Der König versiegelte ihn mit seinem Siegel und den Siegeln seiner Großen, um zu verhindern, dass an der Lage Daniels etwas verändert würde.
Dan 6,19 Dann ging der König in seinen Palast; fastend verbrachte er die Nacht; er ließ sich keine Speisen bringen und konnte keinen Schlaf finden. Dan 6,20 Früh am Morgen, als es gerade hell wurde, stand der König auf und ging in Eile zur Löwengrube. Dan 6,21 Als er sich der Grube näherte, rief er mit schmerzlicher Stimme nach Daniel und fragte: Daniel, du Diener des lebendigen Gottes! Hat dein Gott, dem du so unablässig dienst, dich vor den Löwen erretten können? Dan 6,22 Daniel antwortete ihm: O König, mögest du ewig leben.
Dan 6,23 Mein Gott hat seinen Engel gesandt und den Rachen der Löwen verschlossen. Sie taten mir nichts zuleide; denn in seinen Augen war ich schuldlos und auch dir gegenüber, König, bin ich ohne Schuld. Dan 6,24 Darüber war der König hoch erfreut und befahl, Daniel aus der Grube herauszuholen. So wurde Daniel aus der Grube herausgeholt; man fand an ihm nicht die geringste Verletzung, denn er hatte seinem Gott vertraut.
[B] "Habakuk nährt Daniel in der Löwengrube". Die Kapitel 13 und 14 sind die sog. "Anhänge" zum Buch Daniel des Alten Testaments. Der Text lautet (in der kath. Einheitsübersetzung):
Dan 14,33 In Judäa lebte damals der Prophet Habakuk. Er hatte sich eine Mahlzeit gekocht und Brot in einen Napf gebrockt und ging gerade auf das Feld, um das Essen den Arbeitern zu bringen. Dan 14,34 Da sagte der Engel des Herrn zu Habakuk: Bring das Essen, das du in der Hand hast, dem Daniel nach Babylon in die Löwengrube! Dan 14,35 Habakuk antwortete: Herr, ich habe Babylon nie gesehen und die Grube kenne ich nicht. Dan 14,36 Da fasste ihn der Engel des Herrn am Schopf, trug ihn an seinen Haaren fort und versetzte ihn mit der Gewalt seines Geistes nach Babylon an den Rand der Grube. Dan 14,37 Habakuk rief: Daniel, Daniel, nimm das Essen, das Gott dir geschickt hat. Dan 14,38 Da sagte Daniel: Gott, du hast also an mich gedacht; du lässt die nicht im Stich, die dich lieben. Dan 14,39 Dann stand Daniel auf und aß. Den Habakuk aber versetzte der Engel Gottes sogleich an seinen früheren Ort zurück.
[C] Deutung. Beide Geschichten im Buch Daniel werden als Antizipation von Leiden und Auferstehung Jesu Christi gedeutet. Die Platzierung dieses Bildnisses in einem Musikinstrument gibt dem Instrument damit eine stark christlich-heilsgeschichtlich geprägte Aussage.
Provenienz: Erstbesitzer unbekannt; Erwerb aus dem Nachlass des Dresdner Kreuz[kirchen]organisten Herbert Collum (1914-1982), dem Vater des Kölner Kirchenmusikers Christian Collum (*1943). Das Instrument wurde von Herbert Collum in einigen Konzerten seit den 1930er-Jahren öffentlich gespielt. Erwerb für die Sammlung Dohr 26. Mai 2021.
Zustand: Das Instrument war bei Erwerb für die Sammlung Dohr (Mai 2021) in einem nicht spielfähigen Zustand. Es war Jahrzehnte lang nicht gespielt und eingelagert. Es fehlen viele Saiten im Diskant; ein Anhangstift im Diskant abgebrochen; Bezug angerostet; Wirbelsitz stark differierend; mehrere Risse im Resonanzboden; Tasten dereguliert; Gehäuse mit zahlreichen kleineren und größeren Schäden; Gehäusedeckel verzogen und im rechten Scharnier vom Korpus abgerissen; Notenpult provisorisch mit falschen Schrauben montiert; Wurmbefall am Vorstecker und am Resonanzboden.
technische und optische Generalüberholung durch Jan Großbach (Frankfurt-Höchst) im August und September 2021.